Erbarmen!

Krimis lassen sich nicht mehr nur in der Tradition skandinavischer Sozialkritik verkaufen, sondern müssen entweder Lokalkolorit transportieren oder immer verstörender werden, um gelesen zu werden. Ich kenne und goutiere beide Subgenres, lese aber, um es mal vorsichtig zu sagen, nicht jeden Scheiß. Da hat es mich natürlich neugierig gemacht, dass Christian Schärf in seinem sonst sehr aufschlussreichen Büchlein Spannend schreiben aus der DUDEN-Reihe Kreatives Schreiben eine Linie von Edgar Allan Poes Die Grube und das Pendel zum Thriller Erbarmen von Jussi Adler-Olsen zieht. Schärf macht’s wahrlich spannend, wenn er vom letzten sagt: „Der Faktor des sadomasochistischen Voyeurismus ist in diesem Text derart hoch, dass man immer wieder in Versuchung gerät, die Lektüre abzubrechen, und im selben Moment doch fast zwanghaft weiterlesen muss.“ Oha! Ich kannte Adler-Olsen – im Unterschied zu zahlreichen anderen nordischen Autoren – nicht und freute mich auf einen spannenden Abend, als mir das genannte Buch in der Bücherei irgendwann unterkam. Mein Abend war dann leider geprägt von der wiederkehrenden Versuchung, die Lektüre aus Langeweile abzubrechen und den Schmarren nicht mehr weiterzulesen. Eine brutale Idee macht noch keine gute Handlung und schon gar keinen guten Erzähler. Auf Amazon haben einige Rezensenten auf negative Kritiken anderer gekontert, ein Thriller müsse nicht „realistisch“ sein. Bezogen aber auf welche „Realität“? Auch Science Fiction muss in sich glaubwürdig sein. Und dieser Roman ist so hanebüchen, dass mit keiner einzigen Figur Identifikation oder Mitgefühl und damit auch keine Spannung aufkommt. Erbarmt habe ich mich schließlich meiner selbst, als ich das Buch endgültig auf die Seite gelegt habe. Ich sollte meinen literarischen Instinkten trauen und wie bisher einen großen Bogen um „Bestseller“ machen.

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