Österreichischer Sprachrassismus

Wenn man als Ausländer in Ösiland ohne böse Absicht Wörter ausspricht, die man so zu Hause gelernt hat, etwa Sahne, Pfifferlinge oder Eisdiele, bekommt man, paradoxerweise besonders von sich links oder gutmenschig gerierenden Menschen, im besten Fall oft reflexartig mit tadelndem Kopfschütteln die entsprechenden österreichische Entsprechung des Ausdrucks präsentiert, im schlimmsten Fall wird einem in bösartigem Ton mit „Dees haast oba Rraaahm, des san oba Äiäschwaammarrrlln, des is a Äissaloon“ übers Maul gefahren.

Dass viele sich für aufgeklärt und tolerant haltende Österreicher „Refugees Welcome“ auf ihre Fahnen geschrieben haben, hindert sie offensichtlich nicht daran, von allen Deutschsprachigen, die hierzulande leben, aggressiv die Assimilation an die austriakische Version der plurizentrischen Sprache Deutsch einzufordern.

Dies hat meiner Meinung nach mehrere Gründe.

Erstens: Der gemeine Ostösterreicher, so weltoffen er sich auch gerne gibt, hat im allgemeinen wenig Auslandserfahrung, kaum Fremdsprachenkenntnisse und somit wenig sprachlichen Weitblick. Größenwahnsinnig hält er Wien für die Hauptstadt der Welt, eine Meinung, die er durch erfundene Superlative in den Medien alle paar Monate bestätigt bekommt. Lernresistent, wie er ist, glaubt er allein zu wissen, was „deutsch“ ist und ist sich seiner impliziten Austriazismen – die er von mir aus gern behalten kann – nicht einmal bewusst. (Schon in der Grundschule wusste ich wenig damit anzufangen, dass uns die exterritoriale Kolonialmacht mit einem zwielichtigen „Österreichischen Wörterbuch“ aus schlechtem Papier zwangsbeschenkt hat, wo doch der Duden in jedem Klassenraum stand.)

Zweitens: Der Ostösterreicher hat einen strukturellen ethnischen Minderwertigkeitskomplex und hängt seine wacklige Identität an sprachhegemonistischen Attitüden auf, indem er Wörtern wie Marmelade, Topfen, Rahm oder Marillen mythischen Status zuweist. Das tabuisierte Aussprechen von Wörtern wie Sahne oder Aprikose durch andere stellt eine traumatische Bedrohung seines künstlich am Leben erhaltenen Selbstbewusstseins dar, auf die er mit rabiatem Sprachchauvinismus reagieren muss, um sein Ego wieder herzustellen. (Kokettieren tut er andererseits wie selbstverständlich mit Wörtern niederländischen oder norddeutschen Ursprungs wie „lecker“ oder „tschüß“, mit denen er zeigen will, dass er ja doch nicht so provinziell ist, wie er ist.)

Drittens: Den Österreichern steckt die Angst, etwas politisch Unkorrektes zu sagen, noch aus der Nazizeit in den Genen. (Die linke political correctness ist meiner Meinung nach nichts anderes mit umgekehrtem Vorzeichen, aber das ist ein anderesThema.) Diese Angst wird psychoanalytisch abgespaltet und auf andere projiziert. Daraus resultiert die denunziatorische Rolle als Diskurspolizei, die in diesem Land sowieso gang und gäbe ist: „Er hat nicht „Heil Hitler“, … äh: „Paradeiser“ gesagt!“ Und damit ist er aus dem Schneider, der Österreicher, denn er ist ja ein „Guter“, hat sich nichts zuschulden kommen lassen und darf sich wieder in seiner Selbstgerechtigkeit suhlen.

Ein Gedanke zu „Österreichischer Sprachrassismus

  1. Lieber Michael,
    als halbes Münchner Kindl mit Münchner Mama und halbe Tirolerin mit Tiroler Vater weiß ich ganz genau, wovon Du hier sprichst! Und Du sprichst mir aus der Seele. Ich bin mit Blumenkohl (den meine Mama leider hasste, doch nicht wegen des Namens, sondern wegen des Geruchs), mit Tomaten und mit Sahne aufgewachsen – und habe erst in Wien erfahren, was für scheußliche Worte ich da verwende.
    Also vielen Dank für diese klugen Ausführungen – und ich glaube auch, mit den psychoanalytischen Erkärungen liegst Du nicht ganz falsch (sondern eher sehr richtig).

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